Vom 6. bis 15. Juli 1938 fand auf Initiative des US-Präsidenten Roosevelt die Flüchtlingskonferenz von Évian statt, auf der sich die Vertreter von 32 Staaten und zahlreichen Hilfsorganisationen trafen, um angesichts rapide steigender Zahlen jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland die Situation der auswandernden Juden zu regeln. Der Ausgang der Konferenz war eine moralische Katastrophe. 32 Staaten hielten ihre Grenzen aus Angst vor „Überfremdung“ geschlossen, als Hunderttausende Menschen um ihr Leben bangten.
Nur vier Monate nach Évian, in der Nacht vom 8. zum 9. November 1938 brachen die grausigen Gewaltexzesse der „Reichskristallnacht“ los.
Spätestens seit 1978 wird in der Bundesrepublik der 9. November landesweit als Gedenktag zur Mahnung an die Opfer der Judenverfolgung im nationalsozialistischen Deutschland begangen.
Gewiss, man soll nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Aber weil in diesem Jahr der eigentliche Gedenktag auf Freitag, den am Abend beginnenden jüdischen Ruhetag Schabbat fällt, finden die Gedenkzeremonien heute, also einen Tag früher, statt. Und just am gleichen Tag wurde der 18. „Thüringenmonitor“ veröffentlicht, eine Langzeitstudie der Friedrich-Schiller-Universität Jena zur politischen Kultur im Freistaat Thüringen. Ein Schwerpunktthema kreist in diesem Jahr um den Begriff „Heimat“ und um die Frage, wie auf den Druck der Fluchtmigration angemessen zu reagieren sei.
Insgesamt liegt der Anteil der Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft in Thüringen mit 4,7 Prozent im bundesweiten Vergleich nach wie vor auf einem niedrigen Niveau. Laut „Thüringenmonitor“ ist ein Großteil der Befragten jedoch der Meinung, dass Thüringen „in gefährlichem Maß überfremdet“ sei. Die Zustimmung zu fremdenfeindlichen und nationalistischen Aussagen wird mittlerweile von 47 Prozent, also rund der Hälfte der Thüringer Bevölkerung geteilt. (Bei etwa 20 Prozent der Befragten sind rechtsextreme Einstellungen verbreitet. Die durchschnittliche Befürwortung neo-nationalsozialistischer Aussagen verbleibt hingegen mit acht Prozent auf niedrigem Niveau. 26 Prozent stimmen antisemitischen Aussagen zu.)
Nur noch 50 Prozent der Befragten schätzen das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religionen und Kulturen in Thüringen als positiv ein.
Insgesamt befindet sich die Zustimmung zu von Vorurteilen geleiteten bzw. abwertenden Aussagen über ethnische, kulturelle und soziale Gruppen auf einem bedenklichen Niveau. Aber auch mit kleinen Schritten kann man dem entgegen treten:
In der VIA REGIA-Stadt Eisenach hat sich ein Arbeitskreis zusammengefunden, zu dem verschiedene Religionen gehören: Muslime und christliche Richtungen: evangelisch, katholisch, methodistisch, armenisch, eritreisch, jesidisch.
Sie haben ein gemeinsames Friedensbekenntnis formuliert. Das klingt einfach. Ist es aber nicht gewesen. Eine gemeinsame Friedenssprache finden, das hat Zeit gebraucht. Aber mit diesem gemeinsamen Bekenntnis für Frieden können die Gläubigen unterschiedlicher Gemeinden und Religionen eine verbindende Basis finden. Und so etwas kann Schule machen, auch anderswo.
Übrigens: Eine jüdische Gemeinde, deren Vertreter an der Initiative hätten teilnehmen können, gibt es in Eisenach nicht mehr.
(Foto: Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze 2015, Quelle: SPIEGEL ONLINE)