Deutsche Könige besuchten häufig das Kloster Hersfeld
von Dr. Michael Fleck
Die Könige und Kaiser des Mittelalters waren sogenannte Reisekönige, d. h., sie regierten nicht wie ihre späteren Herrscherkollegen von der Hauptstadt ihres Landes aus, sondern zogen jahrelang kreuz und quer durch das Reich, begleitet von ihrem Hofstaat, oft auch von ihrer Familie, manchmal in kleinen Gruppen, meist aber mit großem, Hunderte von Köpfen zählendem Gefolge. Die Reisewege mit ihren verschiedenen Stationen richteten sich nach den Möglichkeiten, kurzfristig, aber auch für längere Zeit an einem festen Punkt, einer Pfalz oder einem Kloster, Station machen zu können.
Die strategisch günstige Lage des von dem Mainzer Bischof Lul gegründeten Klosters Hersfeld für seine sächsischen Pläne hatte Karl der Große schon bald erkannt, und so erklärt es sich, dass er bereits 6 Jahre nach seiner Gründung, im Jahre 775, Hersfeld in die Reihe der Reichsklöster aufnahm, was außer der hohen Ehre eben auch die Verpflichtung mit sich brachte, dem Herrscher und seinem Gefolge im gegebenen Fall Unterkunft und Verpflegung zu gewähren. Durch die zahlreichen Schenkungen, die Karl dem Kloster zuteil werden ließ, sollten die ökonomischen Grundlagen dazu geschaffen werden.
Karl der Große (wahrscheinlich 2. April 747 oder 748 bis 28. Januar 814)
Der einzige bezeugte Aufenthalt Karls des Großen im Kloster Hersfeld fällt auf den 28. Juli 782; an diesem Tag unterzeichnet er, auf dem Rückweg aus dem Sachsenland, hier eine Urkunde, in der er dem Kloster Grundbesitz in verschiedenen Gegenden übereignet. Sein Sohn, Kaiser Ludwig der Fromme, der von seinen aufrührerischen Söhnen abgesetzt, dann aber wieder eingesetzt worden war, kam auf der Verfolgung seines Sohnes Ludwig am 8. April, zwei Monate vor seinem Tod, zum Kloster Hersfeld. (Seine Büste steht noch aus.)
Nach dem Zerfall des ehemaligen karolingischen Gesamtreichs in einen West- und einen Ostteil, kam nach dem Tode des letzten Karolingers im Ostreich Ludwigs des Kindes, im Jahre 911 die Herrschaft an den Frankenherzog Konrad.
Konrad I. (um 881 bis 23. Dezember 918)
König Konrad I. galt lange Zeit als eine Art Lückenbüßer innerhalb der Abfolge der großen Königsgeschlechter, der Karolinger, Ottonen, Salier und Staufer, als ein Mann, dem es weder gelungen war, die Herrschaft seiner Familie zu erhalten - seine Ehe blieb kinderlos -, noch die seinem Königtum widerstrebenden territorialen Gewalten, vor allem den mächtigen Sachsenherzog Heinrich zu Anerkennung und Gefolgschaft zu bringen. In den äußerst spärlichen Quellen zu seiner Regierungszeit wird als seine einzige Großtat herausgestellt, dass er seinen größten Gegner, Herzog Heinrich von Sachsen, als seinen Nachfolger empfahl, was dann auch 919 zur Erhebung Heinrichs zum deutschen König führte. Heute neigt man zu einer eher positiven Beurteilung dieses Herrschers. Was König Konrad ein halbes Jahr vor seinem Tod in das Kloster Hersfeld führte, das damals von Abt Diethart I. geleitet wurde, wissen wir nicht. Bemerkenswert ist dieser Besuch vor allem deshalb, weil der König in den letzten beiden Jahren, wohl in Folge einer Verwundung, ziemlich leidend war und nur wenig reiste, und das, wie es scheint, vor allem in seinen Kernlanden, dem Rhein-Main-Lahn-Gebiet; außerdem gibt es Grund zu der Vermutung, dass er dabei vorwiegend Wasserwege benutzte. Was mag ihn bewogen haben, nach Hersfeld zu kommen, das mit dem Schiff nun beim besten Willen nicht erreichbar war und weit von den Orten entfernt ist, die der König in den letzten beiden Lebensjahren nachweislich besucht hat? Der Grund dürfte folgender gewesen sein: Etwa 10 Jahre lang, bis zum Jahre 912 stand das Kloster Hersfeld unter dem Einfluss des sächsischen Herzogtums, und Herzog Otto der Erlauchte, der Vater des eben erwähnten späteren Königs Heinrich, hatte als Laienabt – ein einmaliges Ereignis in der Geschichte des Klosters Hersfeld – die Verfügungsgewalt über das Kloster. Erst nach seinem tod wurde wieder ein regulärer Abt gewählt, der genannte Diethart. Bald nach seinem Regierungsantritt hatte Konrad dem Kloster Hersfeld alle Rechte und Privilegien bestätigt, gewiss in der Absicht, das strategisch so wichtige und Sachsen so nahe Hersfeld wieder für den deutschen König zu gewinnen. Wenn er fünf Jahre später trotz schwerer Krankheit persönlich nach Hersfeld kommt, kann man das nur als Zeichen für die Bedeutung dieses Klosters für die Stärkung der königlichen Macht und die Einheit des Reiches ansehen. Im Dezember desselben Jahres, 918, ist König Konrad, etwa 37 Jahre alt, in Weilburg gestorben; seinem Wunsch gemäß wurde er in der Kirche der Fuldaer Benediktiner beigesetzt, und noch heute erinnert eine 1878 im Fuldaer Dom angebrachte Gedenkplatte an sein verschollenes Grab.
Die Kirche, in der König Konrad I. am 24. Juni 918 das Fest des hl. Johannes des Täufers mitfeierte, war nicht die, deren eindrucksvolle Reste wir heute vor uns sehen. Damals stand an ihrer Stelle die von Abt Bun errichtete und 850 vom Mainzer Erzbischof Rabanus Maurus geweihte Klosterkirche, die auch Konrads zweiter Nachfolger, König Otto, der spätere Otto der Große, im ersten Jahr seiner Regierung, 936, besuchte. (Auch seine Büste steht noch aus.)
100 Jahre nach Ottos Besuch, im Jahre 1038, brannte die Bunkirche so gut wie vollständig ab, doch nur zweier Jahre bedurfte es, bis der wichtigste Teil des jetzt weit größeren Neubaus, die Apsis mit Krypta, fertig gestellt war, und anlässlich ihrer Einweihung kommt es wieder zu einem königlichen Besuch in Hersfeld.
Heinrich III. (28. Oktober 1017 bis 5. Oktober 1056)
Heinrich III., der zweite aus dem Haus der Salier, war schon mit 11 Jahren von seinem Vater, Kaiser Konrad II., zum Mitkönig erhoben worden und hatte ein Jahr zuvor, 1039, die Nachfolge seines verstorbenen Vaters angetreten. Der dreiundzwanzigjährige König muss eine eindrucksvolle Gestalt gewesen sein. Lampert von Hersfeld sagt von ihm, man habe in ihm einen zweiten Karl gesehen, wie dieser tugendreich und fromm. Seine Gesichtsfarbe sei dunkel, sein Gesichtsausdruck aber voll Liebreiz gewesen, und mit Schultern und Haupt habe er alle überragt. Es war eine große Auszeichnung für Hersfeld und seinen Abt Meginher, dass der junge König, der zu dieser Zeit alle Teile seines Reiches bereiste, an dem Weiheakt in eigener Person teilnahm. Während seiner Regierung sollte das mittelalterliche Kaisertum eine nie wieder erreichte sakrale Überhöhung erfahren, doch starb Kaiser Heinrich III. bereits 1056 mit knapp 39 Jahren. Sein früher Tod sollte für das Reich verheerende Folgen haben.
Heinrich IV. (1050 bis 7. August 1106)
Sein Sohn und Nachfolger war im Alter von drei Jahren zum König gewählt und noch nicht vierjährig 1054 in Aachen zum König gesalbt worden. Beim Tode seines Vaters war er noch keine sechs Jahre alt. Die neun Jahre bis zu seiner Volljährigkeit stand er unter wechselndem Einfluss, ein Spielball miteinander verfeindeter Interessengruppen, die die Schwäche der königlichen Gewalt für sich auszunutzen trachteten. Seine Regierungszeit ist beherrscht vom Kampf gegen zwei zunächst getrennte, dann aber sich vereinigende Gegner: Die innerdeutschen Fürsten, allen voran die sächsischen, und dann der Papst in Rom. In der Auseinandersetzung mit den aufständischen Sachsen ebenso wie im Streit mit Rom, dem sog. Investiturstreit war Hersfeld eine zuverlässige Stütze Heinrichs IV., einmal wegen seiner strategisch günstigen Lage an der Grenze zum sächsisch-thüringischen Gebiet, zum andern durch die Haltung der Hersfelder Äbte, vor allem des Heinrich eng verbundenen Abtes Hartwig, in der Auseinandersetzung des Kaisers mit Papst Gregor VII. um das Recht des deutschen Königs, die Besetzung von Bistümern und Abteien maßgebend zu beeinflussen. Sieben Mal weilte Heinrich IV. in Hersfeld, erstmals 1062 in Begleitung seines Vormunds Anno von Köln, dann Pfingsten 1066, ein Jahr nach seiner Mündigkeitserklärung, erneut fünf Jahre später, Ende Juli 1071, dann im Dezember 1072, als Abt Ruthard sein Amt niederlegte und Heinrich den genannten Hartwig als Abt einsetzte, dann wieder im August 1073, als er auf seiner Flucht von der Harzburg hier vier Tage sich aufhielt, um sein Heer für einen Polenfeldzug zu sammeln. Darunter hatte die Gegend um Hersfeld sehr zu leiden, wie überhaupt die wirtschaftlichen Kräfte der Abtei durch die königlichen Aktivitäten aufs höchste in Anspruch genommen wurden. Anfang Januar 1074 holte Abt Hartwig auf Geheiß des Königs dessen schwangere Ehefrau Berta aus der bedrohten Burg Vockenrod nach Hersfeld, wo sie am 12. Februar einen Sohn gebar. Am 27. Januar weilte auch der König selbst dort während eines Feldzugs gegen die Sachsen, ein Datum, das auch meteorologisch von Interesse ist, da, wie Lampert berichtet, damals alle Flüsse bis in den Grund vereist waren. Der einzige in Hersfeld geborene König ist besagter Konrad, den sein Vater drei Jahre später auf seinem Bittgang zum Papst nach Canossa mitnahm, der dann zum römisch-deutschen und später auch zum König von Italien gekrönt wurde, jedoch auf die Seite der Kaisergegner wechselte, von seinem Vater 1098 abgesetzt wurde und 1101 mit 27 Jahren in Florenz starb. 1087, im Jahr von Konrads Königssalbung in Aachen, war Heinrich IV., soweit wir sehen können, zum letzten Mal in Hersfeld. 1105 wurde Heinrich IV. von seinem Sohn und den deutschen Fürsten gezwungen, dem Thron zu entsagen, doch wehrte sich der abgesetzte Kaiser gegen seinen jetzt offiziell als Heinrich V. inthronisierten Sohn mit Waffengewalt, starb aber bereits im August 1106 im Alter von noch nicht 56 Jahren.
Heinrich V. weilte auf einer Reise von den rheinischen Gegenden nach Sachsen am 9. November 1111 im Kloster Hersfeld; im April desselben Jahres war er in Rom zum Kaiser gekrönt worden, was er aber nur dadurch erreichte, dass er den Papst entführte und als Geisel nahm. (Seine Büste steht noch aus. Wer außerdem noch auf seine Büste warten muss, ist Kaiser Lothar III. von Supplinburg, der Nachfolger Heinrichs V. Er machte im April 1136 auf seiner Reise nach Merseburg Station in Hersfeld.
Konrad III. (1093; bis 15. Februar 1152)
Der letzte römisch-deutsche König, der Hersfeld mit seinem Besuch beehrte, war Konrad III., der erste innerhalb der staufischen Dynastie. Ihn hatte Abt Heinrich von Bingarten eingeladen, an der Weihe der endlich fertiggestellten Klosterkirche im Jahre 1144 teilzunehmen; über 100 Jahre hatte es gedauert, bis die 1038 abgebrannte Kirche wieder völlig errichtet worden war. Eine glänzende Versammlung hoher geistlicher und weltlicher Würdenträger umgab den König, als er am Todestag des hl. Lullus, dem 16. Oktober, an der feierlichen Einweihung teilnahm. Über 600 Jahre sollten dann vergehen, bis auch dieser riesige Bau, jetzt für alle Zeiten, durch eine Feuersbrunst in eine Ruine verwandelt wurde. Ob Konrad III. ein zweites Mal in Hersfeld war, ist unsicher. Auf jeden Fall blieb seine Gemahlin Gertrud auf einem Zug zu einem Hoftag infolge einer Erkrankung in Hersfeld zurück, wo sie am 14. April 1146 starb.
Weitere Königsbesuche in Hersfeld sind nicht zu verzeichnen; die Gründe dafür sind vielfältig und hier nicht zu erörtern. Immerhin hat die Anwesenheit von neun Königen die Bedeutung dieses Klosters für das Reich des frühen und hohen Mittelalters hinlänglich unter Beweis gestellt. Dennoch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der bloße Aufenthalt eines Herrschers an einem bestimmten Ort diesem nicht damit gleich eine besondere Bedeutung verleiht. Entscheidend dafür ist die Rolle, die der jeweilige Ort in der Reichsgeschichte gespielt hat. Unabhängig von den königlichen Besuchen nimmt das Kloster Hersfeld hierbei eine führende Stellung ein. Man kann das etwa daran sehen, dass der Kaiser, der nach Karl dem Großen das Kloster Hersfeld am meisten mit Grundbesitz bereichert hat, Heinrich II., der Heilige, selbst nie die Abtei besucht hat, oder sein Nachfolger Konrad II., der entscheidend in die inneren Verhältnisse des Klosters eingegriffen hat, selbst nie hier gewesen ist. Nicht alle Königswege führten über Hersfeld, aber viele Wege führten von Hersfeld zu den deutschen Königen. An fünf von ihnen soll durch die Büsten erinnert werden.