Die Rolle des VIA-REGIA-Korridors im Raum Fulda in den Szenarien der Generäle während des Kalten Krieges.

Als „Fulda Gap“ (Fulda-Lücke) bezeichneten die Befehlshaber der US-Streitkräfte während des Kalten Krieges das Gebiet bei Fulda in Osthessen nahe der Grenze zur DDR. Dieses erstreckte sich von Herleshausen über Fulda bis in die Nähe von Bad Neustadt. Da sich in der Region östlich von Fulda das Gebiet des Warschauer Paktes am weitesten in den Westen erstreckte und für Panzer leicht passierbar ist - zwischen den natürlichen Barrieren des Harzes im Norden und des Thüringer Waldes im Süden - nahmen die NATO-Strategen unter Ronald Regan an, dass die Truppen des Warschauer Paktes mit größter Wahrscheinlichkeit an dieser Stelle einen Invasionsversuch starten würden. Unter besonderer Beobachtung stand die im Südraum der DDR Stationierte 8. Gardearmee der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, deren Stationierungsschwerpunkt im Zentralen Thüringen lag.

Die warscheinlichen Einfallsrouten der Roten Armee durch die Fulda Lücke während des Kalten Krieges im Falle einer sowjetischen Invasion.
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Die Militärstrategen gingen davon aus, dass der „Thüringer Balkon“ im Westen Thüringens als Aufmarschgebiet gedient hätte. Mit einem Durchbruch hätten die sowjetischen Truppen über das vergleichsweise einfache Gelände innerhalb von zwei Tagen das Rhein-Main-Gebiet erreichen können und somit die Bundesrepublik in zwei Hälften geteilt. Des Weiteren wäre die Rhein-Main-Air Base, der damals größte Nato-Luftwaffenstützpunkt Europas, ausgeschaltet worden. Der General Defense Plan sah vor, im Falle eines solchen Angriffes, massive Truppenverbände um Fulda herum zu konzentrieren, die den gegnerischen Vormarsch verlangsamen sollten, bis Nachschub eingetroffen wäre. Sogar der Einsatz taktischer Kernwaffen wurde zu diesem Zweck in Erwägung gezogen. 114 taktische Atomwaffen wären im Rahmen des sogenannten „Zebra-Pakets“ in eigens dafür angelegten Sprengschächten an Engstellen, wie Brücken, Tunnels und Autobahnen zur Explosion gebracht worden, um den Vormarsch zu verlangsamen. Deren Einsatz wäre innerhalb von zwei Stunden möglich gewesen. Der Vorteil dieser Herangehensweise gegenüber dem Einsatz von Nuklearwaffen mit Trägersystemen, liegt darin, dass die Ladungen genau am gewünschten Punkt detonieren und somit die radioaktive Kontamination geringer ausfällt.
Konventionelle Sprengstoffe hätten einen größeren Personal-, Material- und Zeitaufwand erfordert. Diese Verteidigungspläne behielten bis zur Deutschen Wiedervereinigung 1990 und auf dem Papier bis zum Abzug der dann russischen Truppen 1994 ihre Gültigkeit.
Die Nähe Frankfurts zur Fulda-Lücke wurde von der Deutschen Bundesbank als Grund für die Lagerung deutscher Goldreserven im Ausland angegeben, um das Gold nicht in die Hände des Gegners fallen zu lassen.
Um eventuelle Truppenbewegungen im Auge behalten zu können wurden von der NATO auf der einen Seite und dem Warschauer Pakt auf der anderen, zahlreiche Beobachtungstützpunkte entlang der deutsch-deutschen Grenze eingerichtet.

Links befindet sich der amerikanische Beobachtungsturm, in der Mitte der Grenzsicherungsstreifen und auf der rechten Seite der Beobachtungsturm der DDR.
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Einer von vier Beobachtungsstützpunkten der NATO an der hessischen innerdeutschen Grenze war, neben OP (Observation Post) Romeo, OP India und OP Oscar, Point Alpha , nicht zu verwechseln mit Checkpoint Alpha, dem Grenzübergang Helmstedt-Marienborn. Dieser Beobachtungsstützpunkt lag im Zentrum der Fulda-Lücke, zwischen Rasdorf in der BRD und Geisa in der DDR. Point Alpha wurde 1965 errichtet und war der erste Beobachtungsstützpunkt, daher auch sein Name.

Der Turm des US-Beobachtungsstützpunkts Point Alpha.
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Zunächst entstanden Behelfsunterkünfte, später feste Bauwerke. Der erste Beobachtungsturm wurde 1968 noch aus Holz errichtet, 1982 ein Stahlturm und 1985 der heute noch vorhandene Betonturm.
Anfangs wurde der Stützpunkt vom 14. Armored Cavalry Regiment (Panzeraufklärer) besetzt, ab 1972 übernahm das 11. Armored Cavalry Regiment "Blackhorse". Auf dem Stützpunkt, der 1991 aufgegeben wurde, waren im normalen Dienstbetrieb 40 Soldaten eingesetzt, in Krisensituationen steigerte sich die Zahl auf bis zu 200 Mann, deren Einsatzdauer jeweils vier Wochen betrug. Nach Ende des Kalten Krieges sollte Point Alpha, wie die übrigen innerdeutschen Grenzanlagen abgerissen werden, was aber durch eine auf Betreiben des Journalisten Berthold Dücker gegründete Bürgerinitiative verhindert werden konnte.
Bis Ende 1994 wurde der Stützpunkt als Unterkunft für Asylbewerber genutzt und 1995 unter Denkmalschutz gestellt. Im selben Jahr wurde der Grenzmuseum Rhön Point Alpha e. V. gegründet, welcher mit Unterstützung der der Thüringer Landesregierung die heutige Gedenkstätte aufbaute, die mittlerweile einen kompletten Grenzabschnitt mit dem amerikanischen Stützpunkt, einen Streifen der originalen Grenzsicherungsanlagen der DDR und ein Begegnungszentrum auf Thüringer Seite umfasst. Inzwischen gibt es auch einen Wanderweg, den Point-Alpha-Weg.
Am 28. Dezember 2010 stürzte durch die große Schneelast auf dem Dach die historische Fahrzeughalle von Point Alpha ein, wobei zwei ehemalige Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes Totalschaden erlitten.

Die Gedenkstätte Point Alpha befindet sich in den Gebäuden des ehemaligen US-Stützpunkts.
Foto: Wo st 01/Wikipedia
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Point Alpha erhielt auch die Bezeichnung „heißester Punkt des Kalten Krieges“, was aber irreführend ist, da sich die Besatzung bei den ersten gesicherten Anzeichen eines Einmarsches zurückgezogen hätte. Point Alpha befand sich auf einem Bergzug in 411 Metern Höhe und bot einen guten Überblick über das vorderste Aufmarschgebiet des Warschauer Paktes im Ulstergrund. Durch diese Position eignete er sich auch zum Abhören des Funkverkehrs in Richtung Osten. Der Westlichste Punkt der DDR befand sich nicht, wie oft fälschlich behauptet wird am Point Alpha, sondern 12 Kilometer weiter südwestlich nahe des Dorfes Reinhards.
1962,drei Jahre vor der Errichtung des Stützpunktes, ereignete sich in der Nähe des Standortes ein Grenzzwischenfall, bei dem der BGS-Grenzjäger Hans Plüschke den DDR-Grenztruppenoffizier Rudi Arnstadt erschoss. Nach jahrelanger Geheimhaltung verließ Plüschke im Jahr 1997 die Anonymität und bekannte in den Medien der Schütze gewesen zu sein. 1998 wurde der damals als Taxiunternehmer tätige Plüschke knapp zehn Kilometer von Wiesenfeld, dem Todesort von Rudi Arnstadt, nahe seines Taxis erschossen aufgefunden. Die Nähe der beiden Todesorte zueinander und die Übereinstimmung der jeweiligen Einschüsse über dem rechten Auge, deuten auf eine Verbindung der beiden Vorfälle hin, wobei der Mord an Hans Plüschke noch nicht aufgeklärt werden konnte.

Eine Kfz-Sperre der Grenzsicherungsanlagen.
Foto: Michael Sander/Wikipedia, Ddxc/Wikipedia
Titel: Grenzanlagen_PA
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Seit 2008 ist die Point-Alpha-Stiftung, die von den Bundesländern Hessen und Thüringen, dem Landkreis Fulda und dem Wartburgkreis, den Kommunen Geisa und Rasdorf, sowie den bereits Bestehenden Trägervereinen gegründet wurde, Trägerin der Mahn-. Gedenk- und Bildungsstätte. Ziel der Stiftung ist, den ehemaligen Militärstützpunkt – als Beitrag zur Förderung politischer Bildung und Erziehung, zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Geschichte der deutschen Teilung sowie für die Erschließung, Erforschung und Bewahrung von Zeitdokumenten – zu bewahren und für die Öffentlichkeit zugänglich zu halten.
Im Jahr 2003 wurde der Kuratorium Kuratorium Deutsche Einheit e.V gegründet, der seit 2005 in unregelmäßigen Abständen den Point-Alpha-Preis für Verdienste um die Einheit Deutschlands und Europas in Frieden und Freiheit vergibt. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert. Die ersten Preisträger waren George H. W. Bush, Michail Gorbatschow und Helmut Kohl, welche den Preis am 17. Juli 2005 am Point Alpha vor 10.000 Zuschauern entgegennahmen.

Mahnmal der Gedenkstädte Point Alpha.
Foto: Sven Teschke/Wikipedia
Titel: Point Alpha - Mahnmal 9640
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Dem Kuratorium gehören 15 Persönlichkeiten aus ganz Deutschland an, darunter die Politikerin Christine Lieberknecht, der Chef des Fördervereins Point Alpha, Berthold Dücker, sowie der evangelische Bischof Martin Hein und der katholische Bischof Joachim Wanke.
Am 13. August 2010 gründeten die Stadt Geisa und die Point Alpha Stiftung die gemeinnützige Gesellschaft „Point Alpha Akademie GmbH“, deren Zweck aus der selbstlosen Förderung der Allgemeinheit auf dem Gebiet der Bildung, Erziehung, Wissenschaft, Forschung, Kunst und Kultur, internationalen Gesinnung, Völkerverständigung, Toleranz auf allen Gebieten der Kultur, regionalen Identität sowie demokratischen Gesellschaftsstrukturen besteht.

Inschrift am Mahnmal: „Den Opfern der deutschen Teilung. Den Mutigen der friedlichen Revolution von 1989. Den Erbauern der Wiedervereinigung.“
Foto: Michael Sander/Wikipedia
Titel: Inschrift Denkmal PA2
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Das Angebot der Gedenkstätte umfasst ein- oder zweistündige Museumsführungen, Sonderführungen unter dem Namen „Weg der Hoffnung“ auf dem ehemaligen Todesstreifen entlang 14 monumentaler Skulpturen, Zeitzeugengespräche mit Menschen die beiderseits der Grenze lebten und Mitarbeitern des BGS sowie des Zolls und eine mindestens vierstündige Grenzwanderung. Diese Angebote sind Kostenpflichtig. Preise Und Öffnungszeiten können auf der Seite der Point Alpha Stiftung eingesehen werden.

Eine Gedenktafel an der ehemaligen innerdeutschen Grenze erinnert heute an die Teilung Deutschlands und Europas.
Foto: DavidG/Wikipedia
Titel: Gedenktafel-Innerdeutsche Grenze
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Quellen:
Wikipediaeintrag über die Fulda-Lücke
Wikipediaeintrag über Point Alpha
Wikipediaeintrag über den Point- Alpha-Preis
Wikipediaeintrag über das Zebra-Paket
Wikipediaeintrag über Rudi Arnstadt
Wikipediaeintrag über Hans Plüschke
Webseite der Point Alpha Stiftung