Wie andere Religionen kennt auch das Christentum die peregrinatio religiosa - das fromme Unterwegssein - zu Orten einer besonderen
Heilsvermittlung. Nach den Worten des Apostels Paulus befindet sich ein Christ zeitlebens auf der Pilgerfahrt.
Die Hauptziele des christlichen Pilgerwesens sind der Ort der Kreuzauffindung und die Grabeskirche in Jerusalem sowie des
Geburtskirche von Bethlehem, die Gräber der Apostel Petrus und Paulus in Rom und das Grab des Apostels Jakobus d.Ä. in Santiago
de Compostela. Von den drei Hauptpilgerorten besaß nicht Rom und nicht Jerusalem, sondern das spanische Santiago de Compostela
über mehrere Jahrhunderte hinweg eine geradezu magnetische Anziehungskraft auf das gesamte christliche Abendland. Entlang der
millionenfach beschrittenen Wege zum Grab des Apostels entstanden Klöster, Kathedralen, Hospize, Wirtshäuser und zahlreiche
Stätten des gewerblichen und sonstigen Austausches. Aus Pilgerwegen wurden Handelswege und umgekehrt und der Jacobsweg mit
seinen zahlreichen Verästellungen hat wesentlich zur Entstehung des Wegekorridors VIA REGIA vom Osten in den Westen Europas
beigetragen.
Infolge der französischen Revolution von 1789 und der dadurch ausgelösten geistigen und materiellen Umwandlungen Europas hat
das europäische Pilgerwesen im 19. Jahrhundert seine Bedeutung verloren. Während des 20. Jahrhunderts bis nach dem Zweiten
Weltkrieg blieb dem – im mittelalterlich-christlichen Sinn geprägten – Pilger der Weg zum Apostelgrab größtenteils versperrt.
Nationalistisches Denken, weltweite Kriege und Krisen, ein Auseinanderdriften Europas in ideologische Blöcke, die zunehmende
Säkularisierung der Gesellschaft und die europäische Isolierung Spaniens während der Franco-Zeit waren der Pilgerfahrt nach
Compostela nicht gerade förderlich.
Erst in unserer Zeit, ab Mitte der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, kann man wieder von einer europäischen Dimension
der Pilgerfahrt zum Apostelgrab in Compostela sprechen. In der Pilgerpraxis leben seit dieser Zeit alte Strukturen wieder
auf. Alte Hospitäler in monastischen und religiösen Zentren von Roncesvalles über San Juan de Ortega und Samos bis nach
Compostela werden reaktiviert, neue refugios an allen wichtigen Orten geschaffen. Eine neue Infrastruktur zeichnet sich ab,
in ihrer Fürsorge ähnlich der des Mittelalters und ebenso notwendig sicherlich auch, denn allein auf die touristische Struktur
angewiesen zu sein, ergäbe keinen Sinn.
Wir veröffentlichen an dieser Stelle einige Hinweise zum Pilgern nach Santiago de Compostela, soweit sie in Beziehung zur
Straße VIA REGIA stehen.