VIA REGIA - Revitalisierung einer historischen Straße (Ein Versuch)
Die alte VIA REGIA oder "Hohe Straße" ist eine der wichtigsten europäischen Verkehrsverbindungen vom frühen Mittelalter bis weit
in die Neuzeit hinein. In den schriftlichen Quellen erscheint sie unter verschiedenen Bezeichnungen. Zwar stammt die älteste
eindeutige Überlieferung unter dem lateinischen Begriff "strata regia" (königliche Straße) erst aus dem Jahre 1252, wo sie
in einer von Markgraf Heinrich dem Erlauchten ca. 1215/16 - 1288) für das Bistum Meißen ausgestellten Urkunde erwähnt wird.
Der deutsche Name "Hohe Straße" geht etwa auf das 15./16. Jh. zurück. Er gilt als Bezeichnung für den überwiegend im deutschen
Sprachraum liegenden Abschnitt von Frankfurt am Main bis Breslau/ Wroclaw. Doch die Geschichte der VIA REGIA beginnt in Europa
wahrscheinlich bereits vor der Zeitenwende.
Im römisch besetzten Gallien gab es stabile Versorgungswege zwischen Paris (Lutetia) und dem Süden ebenso wie dem Osten des
heutigen Frankreich, die von den später einfallenden Franken weiter genutzt wurden. Im Westen verband die "Strasse"
nach dem Tode des Frankenkönigs Chlothar I. die Hauptstädte der nunmehr entstandenen Teilkönigreiche Reims, Soissons,
Paris, Orleans.
In der geografischen Mitte des Weges könnte die Entstehung der VIA REGIA in Richtung Osten mit der Herausbildung des
Thüringer Königreiches im 5./6 . Jh. zusammenhängen. Nach dessen Untergang durch die fränkische Eroberung 531/534 gelangte
das von der späteren Straße durchzogene Territorium unter merowingische Herrschaft. Thüringen wurde bis in das zweite Viertel
des 10. Jahrhunderts hinein unmittelbares Grenzland zu den Siedlungsgebieten westslawischer Stämme. Damit erlangte der Raum
eine wichtige militärstrategische und wirtschaftliche Bedeutung für das fränkische Reich. Dies musste zwangsläufig und
Schritt für Schritt auch die Schaffung eines brauchbaren Straßen- und Wegenetzes nach sich ziehen, welches es erlaubte,
alle Herrschaftsaufgaben möglichst rasch und sicher wahrzunehmen.
Die Entwicklung einer ersten zunehmend regelmäßig in West-Ost-Richtung durch Europa verlaufenden Wegverbindung nach dem Ende
des Römischen Reiches war im Osten mit der Entstehung des Kiewer Rus und den europäischen Interessen der Fürsten Wladimir
d. Heiligen und Jaroslaw d. Weisen, im Westen mit der Expansion des fränkischen Reiches nach Osten und Süden verbunden.
Von prägender Bedeutung für die weitere Geschichte Europas waren:
im Westen die Kriegszüge von Karl Martell gegen die aus Spanien eingefallenen Araber bei Tours und Poitiers (732) und im
Osten die Schlacht des deutsch- polnischen Ritterheeres gegen die Mongolen bei Liegnitz/ Legnice (1241), die beide mit
der Entstehung der Strasse VIA REGIA auf das Engste verbunden waren und die Eroberung des jungen Europa durch außereuropäische
Kulturen dauerhaft stoppten.
Die bereits im frühen Mittelalter bestehenden politischen Beziehungen zwischen den europäischen Staaten, der seit dem 10.
Jahrhundert sich rasant entwickelnde Fernhandel, das Pilgerwesen als einer Hauptform mittelalterlicher Fernreisen und
zahllose Kriegszüge um Macht- und Einflusssphären ließen die Bedeutung der Strasse VIA REGIA über die Jahrhunderte hin
ständig wachsen. Von besonderem Interesse ist dabei auch der Streckenabschnitt im polnischen und ukrainischen Teil der
"Strasse", weil darin nicht nur die herausragende Bedeutung solcher städtischer Zentren wie Wroclaw, Krakow, L'viv oder Kiev
zum Ausdruck kommt, sondern auch die über tausendjährige wechsel- und oft leidvolle Geschichte der Völker in diesen Regionen
mit den Ereignissen entlang der VIA REGIA verbunden ist.
Die Geschichte der alten VIA REGIA als Heerstraße beginnt, den schriftlichen Quellen zufolge, mit den Zügen der Franken und endet
kurioserweise mit einem Feldzug der Franzosen.
Letztmalig erlangte diese Route europäische Bedeutung durch die Truppen Napoleons, die sowohl auf ihren Eroberungsfeldzügen
nach Russland und Spanien, als auch auf ihrem Rückzug eben diese Straße benutzten. Dazwischen liegen anderthalb Tausend
Jahre europäische Geschichte, die eng mit der VIA REGIA verknüpft ist.
Mit dem Bau der Eisenbahn seit 1835 verloren die Wege an Bedeutung. Die Menschen, die Straßen bis dahin meist nur zu Fuß
begehen konnten, hatten die Möglichkeit, die Strecken mit der Bahn viel schneller zurückzulegen und dabei viel weitere
Entfernungen zu überwinden. Der Transport von Waren war nicht mehr so beschwerlich wie auf den schlechten Straßen, die für
den Fernverkehr selten vorbereitet waren. Die Industrialisierung förderte in den Folgejahren den schnellen Ausbau der
Bahnstrecken. Züge waren ein geeignetes Transportmittel für Schwertransporte der Industrie, ebenso wie für die Versorgung
der rasant wachsenden Städte. Wenn auch mit der Pflasterung von Straßen in einigen wenigen Städten bereits im 12./13.
Jahrhundert begonnen worden war, führte der weitgehend unausgebaute Zustand der Wege und das Fehlen von geeigneten
Transportmitteln nunmehr zu einer jahrzehntelangen Vernachlässigung des Straßennetzes.
Im Rahmen dieser Entwicklung kam es zu erneuten Veränderungen der Streckenführung. Einen genauen und über die Jahrhunderte
gleichen Verlauf der VIA REGIA hatte es ohnehin nie gegeben. Da sich auf dieser Straße bereits im Mittelalter der größte
Teil des Ost-West-Handels abspielte, war jeder Landesherr bestrebt, die Straße möglichst auf sein Territorium zu ziehen,
denn die Einnahmen durch Geleitsrechte und Zölle waren erheblich. Nur einzelne Fixpunkte, von der Natur gesetzt, wie
Flussübergänge und Gebirgspässe oder -kämme, blieben über lange Zeit die selben. So ist der sich mit der Zeit häufig
ändernde Verlauf der Straße auch ein Spiegelbild wechselnder politischer Verhältnisse. Gleichzeitig prägten wirtschaftliche
und technische Veränderungen das Bild und die Wegführung der VIA REGIA.
Die geschichtsträchtige Strasse ist heute die lineare Strecke der modernen Autobahn und damit die Rollbahn für das
Ausleben der individuellen Mobilität.
Technisch wird sie zum High-Tech-Asphaltband, das Landschaften und Siedlungsräume zerschneidet und dem Individuum
die sichere Fahrt nur mit aufwändigen technischen Hilfsmitteln ermöglicht. Die gesamte neugebaute Autobahnstrecke A4 innerhalb
der neuen Bundesländer ist unter dem Aspekt der Sicherheit und Technisierung ein Musterbeispiel von Ingenieurleistungen in
Deutschland. Die modernsten Kommunikations- und Informationstechnologien werden eingesetzt, um die Fahrsicherheit
kontrollieren und koordinieren zu können. Unzählige hochtechnisierte Antistau- und Antiunfallmaßnahmen sind an der
Autobahn eingeführt worden, die bei diesem intensiven Verkehrsaufkommen einen fließenden Verkehr überhaupt erst
ermöglichen. Um die menschlichen Bedürfnisse und Versorgungsinteressen sicherzustellen, wurden Rastanlagen mit
Tankstellen und Parkplätzen errichtet. Der Aufenthalt an einer Raststätte ist so organisiert und technisiert, dass man
im Stande ist, alles zu bekommen, ohne ein Wort zu sagen. Komfort und Geschwindigkeit des Autos sind so weit fortgeschritten,
dass keine Notwendigkeit mehr besteht, unterwegs eine Unterkunft aufsuchen zu müssen. Die Reisenden stehen oft unter
Zeitdruck und verlassen schnell die Raststätte oder übernachten im eigenen Fahrzeug.
Kann die Autobahn unter diesen Umständen Kulturen und Menschen zusammenführen wie die alte VIA REGIA?
Kann die Strasse immer noch "Leben" bedeuten?
Es heißt heute, die Menschen wären mobil. Früher ist es wohl nicht anders gewesen. Unterwegssein hieß Handeln, Kriege
führen, Heiraten, usw. Auf der Straße war man nie alleine, bis ins 19. Jahrhundert hinein war es sogar sicherer, sich
in größeren Gruppen zusammen zu schließen, um weniger gefährlich reisen zu müssen. Die Möglichkeit, mit anderen zu
kommunizieren, andere kennen zu lernen, war immer gegeben. Da man neugierig und interessiert und nicht selten auf die
Hilfe anderer angewiesen war, machten sich die Reisenden oft auch ihre wenigen Fremdsprachenkenntnisse zunutze und sammelten
auf diesem Wege Lebenserfahrungen und Wissen.
Diese Bedeutung der Strasse ist Geschichte.
Aber die VIA REGIA, ob als Weg für Bonifatius, der im Auftrag Roms und Karl Martells in Hessen und Thüringen Marken und Bistümer und damit stabile staatliche und kirchliche Organisationsstrukturen einrichtete oder als zukünftig sechsspurige Autobahn A 4, ist seit etwa 2000 Jahren eine "europäische Magistrale" von entscheidender wirtschaftlicher, kultureller, politischer und mili-tärischer Bedeutung, lebendig wie eh und je und gleichzeitig von hoher gemeinschaftsbildender Symbolkraft.
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