Wir veröffentlichen nach Jahrzehnten erstmals wesentliche Abschnitte dieses Textes und wenden uns damit an alle diejenigen, die mehr wissen möchten zum Leben und Treiben auf der alten „Königsstraße“ und die Bedeutung, die Erfurt einstmals für den Handel in Europa hatte.
von Luise Gerbing
(23.04.1855 - 25.02.1927)
Luise Gerbing wurde 1855 in Schnepfenthal geboren. Sie war die Enkelin von Christian Gotthilf Salzmann und besuchte die von
ihm gegründete „Salzmannschule“, heiratete ihren einstigen Zeichenlehrer Reinhold Gerbing und unterrichtete dann selbst
an der seit ihrer Gründung überregional namhaften Schule. Ihr Lebenswerk war die Beobachtung und Dokumentation der
Kulturentwicklung der Thüringer Bevölkerung, insbesondere beobachtet im Thüringer Wald. In zahllosen Veröffentlichungen
bewahrte sie unwiederbringliches Kulturgut vor Vergessenheit und Untergang. Im Jahre 1900 erschien ihr Artikel „Erfurter Handel
und Handelsstrassen“ in den „Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Alterthumskunde von Erfurt“. Diese Schrift ist bis
heute eine der gründlichsten historischen Untersuchungen der Wege- und Handelsbeziehungen im Thüringer VIA REGIA-Korridor.
Inhalt:
Thore und Wege
Königsstraßen und Geleitswesen
Niederlags- oder Stapelrecht
Markt
Die städtische Waage
Geleits- und Zollregister
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Niederlags- oder Stapelrecht
Jede bedeutende Handelsstadt des Mittelalters strebte nach dem Niederlags- oder Stapelrecht. Nach diesem war jeder fremde Fuhrmann,
der das Gebiet der Stadt berührte, verpflichtet, seine Ware sofort „bei Sonnenschein" (d. h. bei Tage) vor die Stadtwaage zu
führen, dort wiegen zu lassen und auf eine bestimmte Anzahl von Tagen den Kaufleuten und Bürgern das Vorkaufsrecht zu gewähren.
Was nicht verkauft wurde, durfte der Händler weiterführen, bis die nächste Stadt mit Niederlagsrecht ein mehrtägiges „Halt!“
gebot. Dass diese beständigen Verzögerungen für den Handel im ganzen schweren Nachteil mit sich brachten und nur den Bürgern
der betreffenden einzelnen Stapelstädte zu gute kamen, ist leicht zu erweisen.
Benachbarte Stapelstädte wachten mit eifersüchtigem Misstrauen über die strenge Durchführung ihrer Privilegien. Für Erfurt
kam besonders Leipzig in Betracht, durch dessen, auf fünfzehn Meilen im Umkreis sich erstreckendes Stapelrecht das ältere
Erfurter Privilegium aufgehoben werden sollte. Thatsächlich überflügelte die Hauptstadt des Kurfürstentums infolge ihrer
unübertrefflich günstigen geographischen Lage und der energischen Förderung der sächsischen Fürsten die mainzische Landstadt
bald um ein bedeutendes. Leipzig wurde eine Handelsmetropole ersten Ranges, während Erfurt sich mit einer Stellung in zweiter
Linie begnügen musste. Dennoch ist das, was Thüringens Hauptstadt leistete, einerseits als Sammelpunkt der Erzeugnisse des
Thüringerwaldes und der mittelthüringer Mulde und andererseits in eigener Kunstfertigkeit und Industrie, nicht hoch genug
anzuschlagen. Denn diese Blüte entwickelte sich allein aus freiem, stolzen Bürgersinn, ohne Unterstützung fürstlicher Gönner,
ja mit nur zu häufiger Schädigung und „Kümmern" durch die sächsischen Geleits- und Schutzherren.