Das Geleit und die Hermsdorfer Fuhrleute

Aus der Festschrift zur 700 Jahrfeier von Hermsdorf, 1956

Vor Jahrhunderten, als es weder Eisenbahnen noch motorisierte Fahrzeuge gab, beherrschten die Pferdefuhrwerke die Strassen unserer Heimat. Der Fuhrmannsstand war noch geachtet. Wetterfest und zäh waren seine Vertreter, die ständig Güter aller Art auf den Landstrassen transportierten.

Die Fuhrmannsleute aus dem Holzland, im Volksausdruck „Holznischel“ genannt, und insbesondere aus Hermsdorf kamen in alle Gebiete unseres Vaterlandes. Sie zogen vierspännig, aber auch sechsspännig mit ihren hochbeladenen Planwagen weit hinein ins Land. Bis nach Ungarn sind sie gefahren und haben die in Hermsdorf hergestellten Holzwaren dort verkauft, um von dort wieder andere Waren in ihren Heimatort zu bringen. An der Ostsee und an der Nordsee Waren sie ständige Einkäufer von Fischwaren, die sie gegen ihre Holzwaren eintauschten. Wenn die Hermsdorfer Fuhrleute hinaus ins Land fuhren, schlüpften sie, um ihre Kleider zu schonen, in einen blauen Leinwandkittel, „Schmitzkittel“ genannt. Bei schlechtem Wetter aber zogen sie den dicken, rotgefütterten „Trillmantel“ an, knüpften die Gamaschen fest und setzten den breitrandigen Hut auf. In den Landgasthöfen, in denen sie am Abend Rast hielten, herrschte dann reger Verkehr, und in den Gaststuben erschollen nach dem Abendbrot die alten Fuhrmannslieder. Waren alle Betten belegt, schlief man in der Gaststube auf Stroh. Der Wirt schloss nun die Tore der Herberge und bestimmte einen Fuhrknecht als Wächter. Frost und Hitze, Regen und Schnee, schlechte Herbergen, störrische Pferde und die schlechten Strassen konnten das Leben des Fuhrmanns recht sauer machen, und mancher hat sich mit seines derben Fausten gegen räuberisches Gesindel, das seines Wagen berauben wollte, mit Erfolg zur Wehr gesetzt. Wenn aber die warmen Frühlingswinde wehten, da war es für unsere Holzlandfuhrleute eine Lust, und alles Ungemach des Winters war vergessen, nun wieder durch das schone deutsche Land zu fahren.

Die Fuhrleute kannten die Strassen sehr genau und hatten dabei eine sehr gute Beobachtungsgabe. Das ersehen wir aus dem folgenden alten Fuhrmannslied, welches den Straßenzug von Naumburg nach Hof besingt, den unsere Fuhrleute ja so oft gefahren sind. Dieses schöne Fuhrmannslied kann man heute noch ab und zu in den Hermsdorfer Gaststätten hören, wenn die Alt-Hermsdorfer zusammenkommen, um bei einer Tasse Rumkaffee, dem „Nationalgetränk“ der Hermsdorfer, ein Stündchen sich der Erholung hinzugeben.
Das folgende Fuhrmannslied macht uns bekannt mit den Gasthöfen, die an der Regensburger Strafe zwischen Naumburg und Hof die Vorüberziehenden zur Einkehr einluden.

„In Naumburg geht's die Huhle, Huhle naus, und die Neuhäuser Wirtin, die hängt' s Maul weit raus.
In Prießnitz geht's in tiefen Dreck hinein, und die Mohlauer Wirtin, die schenkt sehr knapp ein,
In Tierschneck hängt die Bratwurst raus, und in Wetzdorf spannt alles Fuhrwerk aus.
Der Rauschwitzer Wirt hat zwei schone Schimmel, und sein Sohn, das ist ein grober Lümmel.
Der Trotz, der ist ein Staatswirtshaus, auf den Böcken, da springen die Mause raus.
In Hermsdorf ist der schwarze Bär, die Neuschenker Wirtin springt kreuz und quer.
Auf der Sorge sieht's dreckig und schmutzig aus, und der Grutzger (Geroda) Friede kocht Sauerkraut.
In Mittelpöllnitz woll' n die Chausseegeld haben, in Braunsdorf geht's die Stufen nan.
In Auma ist die Schinderei, in Krölpa kehr' n wir bei der Hanne Christel ei.
In Tegau fahr'n wir rechts vorbei, in Oettersdorf kehr'n wir gar nicht ei.
In Schleiz kehren wir im Wolfe ei, die Zollgrüner Wirtin ist vogelfrei.
Nun fahren wir sacht ins Gefell hinein, und in Hof schenkt man uns Bayrisch ein.“


Das Lied entstand vor Erbauung der festen Staatsstrassen, wahrscheinlich zwischen 1800 und 1820. Allzu schwierige Steigungen hat die Regensburger Strasse, um deren Verlauf es sich bei dem eben genannten Fuhrmannslied handelt, nicht aufzuweisen, und deshalb wird sie auch gern benutzt wurden sein. Vor ihrem Umbau war der Verlauf vielfach ein anderer. So führte sie bei Hermsdorf durch das jetzige Gelände der „Keramischen Werke", abweichend vor der heutigen „Karl-Marx-Allee". Ein kurzes Wegstück ist heute noch zu sehen. Sie ging dann weiter durch das alte „Kirchenholz" und die „Werner-Seelenbinder- Sportstätte" nach der Autobahnüberführung bei Bad Klosterlausnitz. Bis zu dem Gasthof zu den „Drei grauen Ziegenböcken" ist sie noch gut sichtbar. An einigen Stellen sieht man noch die Strassengraben. Der Umbau der Strasse erfolgte in den Hungerjahren um 1848, deshalb wurde sie von den Alten auch die „Hungerstrasse" genannt. Moorige und sumpfige Stellen der alten Strasse wurden durch Einbau vor Knüppeln fahrbar gemacht. Beim Bau der Hermsdorfer Wasserleitung und Kanalisation stießen die Arbeiter öfters auf alte Knüppeldämme.

Um das Jahr 1800 lässt der Verkehr recht nach, wie aus einem Bericht des Bärenwirtes in Hermsdorf zu ersehen ist. Er schreibt:
„Zumal seit zwei bis drei Jahren die Fuhrleute wegen der nach Hermsdorf gehenden üblen Strasse gewichen seien, wie die Geleitsstellen ausweisen kennen. Die nach Hermsdorf kamen, bestanden nur aus solchen, die Holz holen."
Doch nach den Freiheitskriegen und besonders nach der Gründung des Zollvereins 1834 blühte der Verkehr gewaltig auf. Die großen Tage der Fuhrleute und Wirte waren gekommen.

Wer von den Fuhrleuten zum ersten Male das südlichste oder nördlichste Ziel seiner Reise erreichte, musste das unter den Holzland-Fuhrleuten früher wohl bekannte „Deichselessen" genießen, das heißt, er musste seine Essschüssel auf der Deichsel sitzend zu leeren versuchen, während seine Kollegen mit der Deichsel so lange schaukelten, bis er durch eine reichliche Spende vom wackelnden Sitze befreit wurde. Hierauf ging nun für das ganze Personal der Fuhrknechte das Festessen an. Solches war für den Betreffenden ein Gedenktag fürs ganze Leben. Es war hier im Holzland ein ähnlicher Brauch, wie wir ihn alle von den Matrosen auf hoher See her kennen: die „Schiffstaufe" für den, der zum ersten Male den Äquator überfährt.

Von 1850 ab wird es allmählich stiller in den Gaststuben und leerer in den Ställen, denn Waren und Menschen befördern die neuen Eisenbahnen. Die Weimar-Geraer Eisenbahn mit der Bahnstation „Hermsdorf-Klosterlausnitz" wurde am 29. Juli 1876 eröffnet.
Damals sangen die verärgerten und verarmten Fuhrleute:

„Wer hat denn nur den Dampf erdacht,
die Fuhrleut’ um das Brot gebracht?
Wir sind jetzt wahrlich übel dran,
der Teufel hol' die Eisenbahn!"

Doch sehr bald stellten sich die meisten Fuhrleute um und wurden Händler. Thüringer Erzeugnisse aus dem Holzlande und in Sonderheit aus Hermsdorf fuhren sie nach der Saale- und Elbegegend und brachten Gurken und Zwiebeln, Zucker und Heringe zurück. Besonders zur Sommerzeit wurde es auf der alten Regensburger Strasse wieder recht lebendig, denn aus Naumburg holten die Hermsdorfer Händler mit ihren Pferde- und Hundewagen Kirschen, Gemüse und viele, viele Gurken. Doch auch diese kurze Nachblütezeit ist vorüber, und heute wird auch dieser Handelszweig nur noch in ganz bescheidenem Umfange betrieben.

Die Benutzung der alter Landstrassen war mit gewissen Gefahren verbunden, und die Kaufleute des Mittelalters und auch der späteren Jahrhunderte fürchteten die Unsicherheit auf diesen Strassen vielfach gar sehr. Nicht nur durch Wegelagerer und räuberisches Gesindel hatten sie oft großen Schaden, sondern auch Angehörige des niederen Adels - Raubritter - achteten das freie Geleit auf den Strassen nicht und vergingen sich am Eigentum der reisenden Kaufleute. Diese suchten deshalb Schutz durch begleitende Reiter und Männer, die ihnen von dem Landesherrn zur Verfügung gestellt wurden. Für diesen Schutzdienst - das Geleit - mussten die Kaufleute nun „Schutzgeld", auch „Geleitsgeld" genannt, bezahlen. Diese zu Anfang den Handel fördernde und sichernde Einrichtung wandelten die Feudalherren gar bald zu einer für sie leichten und auch recht ergiebigen Einnahmequelle um. Sie errichteten an allen Durchgangsstraßen durch ihr Herrschaftsgebiet so genannte „Geleitseinnahmestellen". Außerdem wurden die Kaufleute gezwungen, auf ganz bestimmten „Geleitsstrassen" zu fahren, deren Benutzung nur gestattet war, wenn für die auf diesen Strassen beförderten Waren ein besonderes „Geleitsgeld" bezahlt wurde.

Aus einem Auseinandersetzungsvertrag der Landgrafen Friedrich Wilhelm und Balthasar vom Jahre 1338 ist ersichtlich, dass schon in diesem Jahre in Hermsdorf eine „Geleitseinnahmestelle" bestand. In dem vor Dr. Hans Beschorner herausgegebenen Buch mit dem Titel „Verzeichnis der den Landgrafen in Thüringen und Markgrafen zu Meißen jährlich in den wettinischen Landen zustehenden Einkünften" wird im Amt Eisenberg unser Heimatort Hermsdorf er­wähnt als ein Ort, welcher ebenfalls dem Landgrafen jährlich gewisse Einkünfte bringt. Es heißt dort:

“ … item theolonium in Hermansdorf tat 16 grosses … „ (Ebenso gibt die Hermsdorfer Geleitseinnahmestelle 16 Groschen.)

Auch aus einem Bericht des Voigtes Münch vor Wughausen aus dem Jahre 1485 wird die Geleitseinnahmestelle Hermsdorf erneut erwähnt mit dem Zusatz, dass zu dem Hauptgeleite Hermsdorf die Beigeleite Mörsdorf, Lausnitz und Weißenborn gehören, also Hermsdorf unterstellt waren. Damit kommt schon die Wichtigkeit dieses Hauptgeleites in Hermsdorf zum Ausdruck, und es unterstreicht die Tatsache, dass schon zu jener Zeit ein reger Verkehr durch unser Herms­dorf bestanden hat.

Die Höhe der vor jedem Fuhrmann oder Reisenden zu zahlenden Geleitsbeträge richtete sich nach der Art der Ware, die befördert und nach dem Beförderungsmittel, welches benutzt wurde. Die zu zahlenden Beträge waren behördlicherseits in einer „Geleitsordnung" festgelegt. Die älteste bisher bekannt gewordene Geleitsordnung der Geleitseinnahmestelle Hermsdorf datiert vom Jahre 1643. Neben dem Geleitshaus stand noch eine Geleitstafel, aus der der Reisende selbst ersehen konnte, wie hoch sein Abgabenbetrag war.

An Geleitseinnahmen sind in den Amtsbüchern und Steuerbüchern für Hermsdorf vermerkt:

1598 13 Gulden 15 Groschen
1641 20 bis 30 Gulden
1657 10 bis 14 Gulden
1712-1723 10 bis 17 Gulden
1820-1831 160 bis 230 Gulden

Die Namen der Geleitseinnehmer sind uns vor etwa 1600 bis zur Aufhebung der Geleitseinnahmestellen bei Errichtung des Zollvereins im Jahre 1834 lückenlos bekannt. Der letzte Geleitseinnehmer war Johann Heinrich Gottlob Stöckigt, der über 50 Jahre dieses Amt in Hermsdorf verwaltete in seinem Grundstück in der Ernst-Thälmann-Strasse, einem alten herrlichen Fachwerkbau, welcher wohl zu den schönsten und interessantesten Wohngrundstücken von Hermsdorf mit gehört.

Die Hermsdorfer waren aber nicht immer mit den hohen Geleitsbeträgen und mit dem „Chausseegeld" einverstanden und suchten um diese Abgaben „herumzukommen". Zahlreiche Anzeigen sind in den alten Akten gegen Hermsdorfer Einwohner enthalten, weil sie, ohne Geleitsgeld gezahlt zu haben, ihre Waren auf den Geleitsstrassen beförderten. Ein besonders hartnäckiger „Sünder" scheint der Pachtwirt Weise, Pächter des Gasthofes „Zum schwarzen Bären" gewesen zu sein, denn er hat 1712 zum wiederholten Male Hafer und Getreide nach Hermsdorf in den Gasthof transportiert, ohne Geleite zu zahlen. Langwierige und umständliche Verhandlungen, die sich über Jahre hinausziehen, sind die Folge dieser „Geleitsdefraudation". Ein anderer wieder, der Einwohner Jobst Plötner in Hermsdorf, lässt 1725 seinen Knecht in Naumburg Bier holen, hat ihn aber anscheinend „angehalten", nicht die Geleitsstrassen zu fahren, sondern auf Nebenwegen das Bier nach Hermsdorf zu bringen. Auch er wird von dem auf den Strassen aufsichtführenden Geleitsreiter Hopfe vom Eisenberger Amt „erwischt", muss nun Geleite nachzahlen und erhält darüber hinaus noch eine sehr hohe Strafe.

Aber auch andere Methoden wurden angewandt, um das teure „Chausseegeld" zu sparen. Darüber wird in einem Artikel in der „Volkswacht" über einen alten Hermsdorfer wie folgt berichtet:

„Ein ganz Gerissener war der alte Maximilian, seinerzeit der Älteste von Hermsdorf. Bis ins hohe Alter von 96 Jahren war er rüstig. Als Maximilian einmal nach Naumburg fuhr und seine Jungen mit auf dem Wagen hatte, waren ihm doch drei Groschen Chausseegeld für die Personen und dann noch zwei Groschen für die Pferde zu viel. Um Mitternacht näherte er sich mit seinem Fuhrwerk ganz langsam dem Chausseehaus, als ob er anhalten wollte, um die Gebühr zu bezahlen. Ehe aber der Chausseegeld-Einnehmer das Fenster schlaftrunken aufmachte und umständlich seine Stange mit dem Beutel, in welchen das Chausseegeld von Maximilian getan werden sollte, herauslangte, rief derselbe nach rückwärts: „Jungs bossd ouf!", und gab im selben Augenblick den Pferden die Peitsche, und heidi, haste nicht gesehen, ging’s an der Einnahmestelle vorbei. Von weitem hörten sie nur noch den Einnehmer hinterdrein rufen: „Schosseegeld, Schosseegeld!"

In Hermsdorf bestanden zwei Chausseegeld-Einnahmestellen. Die eine war eingerichtet in dem Gebäude gegenüber dem jetzigen Rathaus in der alten Gaststätte „Zur Quelle", welche jetzt nicht mehr besteht. Die zweite Einnahmestelle bestand an der Ecke der heutigen Ernst-Thälmann-Strasse / Geraer Strasse in dem Gebäude der heutigen Firma Alfred Gruner, Spedition.

Das Geleitswesen, das zunächst den Verkehr förderte, war durch die Eigensucht der vielen Fürstenhäuser zu einem richtigen „Geleitsunwesen" geworden und zu einer Verkehrsbehinderung. Erst die Einigung im Gesamtdeutschen Zollverein im Jahre 184 brachte hier grundlegenden Wandel. Aber auch die alten Pferdefuhrwerke sind von unseren Landstrassen fast vollständig verschwunden, und das Kraftfahrzeug beherrscht heute die Strassen unseres Landes, und die Eisenbahnen mit ihren weltumspannenden Schienenwegen drücken der heutigen Welt ihr Gepräge auf.

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